Zum erneuten Handeln sahen die Währungshüter keinen Anlass, da sich das konjunkturelle Umfeld zuletzt in etwa so entwickelt hat, wie im Dezember unterstellt. Zwar haben sich die kurzfristigen Perspektiven vor dem Hintergrund der verschärften Massnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie eingetrübt, dafür hat sich der mittelfristige Ausblick dank der früher als erwartet gestarteten Impfkampagnen aufgehellt. Zudem sind mit dem Brexit-Deal und der Verabschiedung des Fiskalpakets in den USA zwei Risikofaktoren aus dem Weg geräumt, die Mitte Dezember noch Sorge bereitet hatten. Entsprechend konstatierte Lagarde, dass die konjunkturellen Abwärtsrisiken abgenommen hätten.
Darüber hinaus stellte sie mehrfach fest, dass die Finanzierungsbedingungen, die den Kompass der Geldpolitik darstellten, derzeit zur Zufriedenheit der Ratsmitglieder ausfallen. Verstärkte Anleihenkäufe seien nur nötig, wenn sich die Finanzierungsbedingungen eintrübten. Damit bestätigte die Notenbankpräsidentin nochmals verklausuliert, dass die EZB derzeit eine Art Zinskurven- bzw. Spreadkontrolle verfolgt.
Insgesamt hinterlässt die Pressekonferenz vor dem Hintergrund der Äusserungen zu Konjunktur und Finanzierungsbedingungen sowie der Ausführungen zur eventuellen Nicht-Ausschöpfung des PEPP-Rahmens einen weniger »taubenhaften« Eindruck als im Dezember.
Mit Blick auf die nächsten Wochen dürfte die EZB ihre Anleihenkäufe auf hohem Niveau fortsetzen, um den kurzfristigen Konjunkturrisiken zu begegnen. Wir gehen jedoch davon aus, dass eine Kombination aus Impffortschritten – in Deutschland und Italien sind beispielsweise bereits rund 50% aller Bewohner*innen von Seniorenheimen mindestens einmal geimpft – und einer günstigeren Witterung ab dem Frühjahr, erste Lockerungen der gegenwärtigen Restriktionen zulassen werden. Ab dem 2. Quartal rechnen wir daher mit einem regelrechten Konjunkturschub, der bis 2022 anhalten wird.
Im Zuge dessen dürfte auch die Inflationsrate rascher und stärker steigen, als von der EZB jetzt unterstellt. Zusätzliche Massnahmen zur noch expansiveren Ausgestaltung der geldpolitischen Ausrichtung halten wir auf absehbare Zeit daher für wenig wahrscheinlich. Im Gegenteil: Die EZB wird den im Dezember ausgeweiteten Rahmen des PEPP am Ende vermutlich nicht ausschöpfen. Naheliegender erscheint uns eine nachhaltige Reduzierung und später Einstellung der Käufe im Laufe des Jahres 2022. Eine erste Zinsanhebung wäre dann 2023 möglich.